Kräftige Windböen peitschten durch die Baumkrone der alten Linde auf der dunklen Rückseite des Doms. Es war Mitte Mai in Köln, und auch, wenn die Blätter des einsamen Baums noch klein und zart und der Tote unter dem Geäst gut sichtbar war, so beachtete ihn anfangs niemand. Zu schnell bewegten sich die Passanten in der morgendlichen Hektik Richtung Museum Ludwig und Philharmonie und in entgegenkommender Richtung zur Domplatte und zum Hauptbahnhof. Immer wieder schwang der schwere Körper hin und her. Ganz in Schwarz gekleidet, das aufgedunsene Gesicht blau angelaufen, die Stirn von grauen Strähnen bedeckt, baumelte der Körper erstarrt mit angelegten Armen und gestreckten Füßen weiter im kühlen Wind, bis, ja bis ein Obdachloser, der in einer Ecke am Mäuerchen die Nacht verbracht hatte, sich erhob, ängstlich schaute, erschrocken die Hände vors Gesicht schlug und schrie:
„Leute, da hängt jemand!“
Eine junge rothaarige Frau, die mit einem Geigenkasten an ihm vorbeieilte, blieb abrupt stehen, drehte sich um, schaute auf den Obdachlosen und folgte mit ihrem Blick seinem ausgestreckten Arm. Was sie sah, raubte auch ihr den Atem. Der Mann da oben bot einen abscheulichen Anblick. Blut hatte sich aus den aufgerissenen Augen ihren Weg über die Nase zum Mund gebahnt, sich an der heraushängenden Zunge gesammelt und war dann über das Kinn und den Hals in den römischen Stehkragen geflossen, der nun nicht mehr weiß, sondern dunkelrot und verkrustet war. Auch aus den Ärmeln des Hemdes und aus den Hosenbeinen sickerte Blut und machte bei jedem Tropfen, der im Sekundentakt auf eine kleine messingfarbene Grabplatte am Boden fiel, ein klopfendes Geräusch, das die Geigenspielerin mit ihrem exzellenten Gehör zwischen den leichten Regenschauern als einen seltsamen, aber exakten Takt vernahm, der wie ein Metronom klang. Klack-Klack-Klack, hörte sie immer noch in ihrem Kopf, als sie eine dunkle Männerstimme jäh aus ihren Gedanken riss.
„Und was haben Sie dann gemacht?“